Leise rieselte der Schnee hinab auf kahlen Äste am Rande der Straße. Die Sonne war verdeckt hinter einem Meer aus Wolken, doch der Schnee am Boden und auf den Bäumen schimmerte in einem leuchtenden weiß. In Momenten wie diesen wünschte sich Garasu, er würde dickere Kleidung tragen. Oder zumindest Socken.
„N-nächstes Mal nehme ich ei-eine Mission in den Tr-Tr-Tropen an“, stotterte mit klappernden Zähnen. Seine Arme waren eng um seinen Körper geschlossen, als er mit steifgefrorenen Füßen in Richtung des Vergnügungsparks wanderte. Sein Auftrag war so dubios wie das Wetter kalt war: Ein Magier hatte das Resort verflucht, und Garasu sollte den Zauber brechen. Er hatte keine Ahnung wie er das anstellen sollte, noch konnte er sich gerade daran erinnern was für ein Fluch es war. Es stand auf dem Zettel, doch die Kälte hinderte ihn daran, sich zu erinnern. Irgendetwas, dass die Besucher fernhielt, dachte er, irgendetwas wie...
In dem Moment schlug der Schnee schlagartig um in Regen.
„Jetzt weiß ich’s wieder“, sagte Garasu zu sich selbst, als die Regentropfen auf seinen eisgekühlten Körper einschlugen. „Es herrscht seit Wochen Dauerregen.“
Seufzend stellte sich Garasu einen Regenschirm aus Glas her, bevor er sich weiter in Richtung des Jahrmarktes machte. Man konnte bereits die große Achterbahnen und das Riesenrad in der Ferne erkennen. Als Garasu sich umsah merkte er, dass die Bäume hier alle noch Blätter trugen, wenngleich diese alle braun und tot waren. Muss an dem Regen liegen, dachte sich Garasu. Im selben Moment stellte sich ihm die Frage, wie genau er eigentlich gegen diesen Fluch vorgehen sollte: Er war Glass-Make-Magier, kein Fluchbrecher-Magier(wenn es so etwas überhaupt gab). Hoffentlich ist ein verfluchter Talisman oder irgendetwas anderes, dass man kaputtschlagen kann, an diesem Regen schuld. Sonst könnte die Angelegenheit ein wenig kompliziert werden.
Als Garasu durch das Tor trat kam er nicht herum leise zu pfeifen.
Trotz des Regens, der teilweise knietiefen Pfützen und den stromartigen Rinnsälen, der von den Dächern und Attraktionen floss, strahlte das Akane Resort immer noch eine Aura der Erholung und des familienfreundlichen Vergnügens aus. Fünf Minuten später hätte Garasu zwar keine Ahnung mehr, was eine Aura familienfreundlichen Vergnügens ist oder wie man sie spüren kann, für den Moment jedoch fühlte er sich überraschend inspiriert von der Atmosphäre.
Während er wie ein kleines Kind seine Umgebung betrachtete hörte wie jemand über den klatschnassen Boden auf ihn zulief. Als er sich umdrehte sah er einen Mann mittleren Alters mit Vollbart und dicken Augenbrauen. Trotz seines Regenschirms tropfte das Wasser von seiner recht vornehmen Kleidung in Strömen auf den Boden.
„Ihr müsst der Magier von Lamia Scale sein, nicht?“, fragte er, während er versuchte etwas Wasser aus seinem Bart zu quetschen. „Mein Name ist Akashi Dorson. Ich bin der Besitzer dieses Erholungsressorts – oder eher dessen, was davon übrig ist.“ Mit einem lauten Seufzen blickte er über seinen Park. „Das Riesenrad rostet vor sich hin, der Strand ist schon seit Wochen geschlossen, und die Achterbahn kann wegen dem Regen nicht gewartet werden.“ Er fuhr sich mit der nassen Hand über sein genauso nasses Gesicht. „Es ist eine Tragödie! Ein Desaster! Bitte, sie müssen diesen Fluch brechen, sonst ist unser Park ruiniert!“
Garasus Blick wanderte immer noch über die Attraktionen im Park. „Für den Anfang“, sagte er schließlich „muss ich sämtliche Fahrgeschäfte im Park ausprobieren.“ Der Ausdruck in seinem Gesicht war ernst, lediglich seine Augen strahlten vor kindlichen Freude.
„Ähm, wäre es nicht sinnvoller wenn ich euch erst einmal erzähle, was sich an dem tag ereignet hat?“
„Das wäre auch ein guter Anfang. Aber danach will ich Achterbahn fa... ich meine mit den Untersuchungen vor Ort beginnen.“
Akashi Dorson seufzte. „Ich hätte eine höhere Belohnung aussetzen sollen, dann wäre vielleicht ein halbwegs kompetenter Magier gekommen...“
Garasu dachte an all die Magier die er bisher getroffen hatte, von seinem exzentrischen Lehrmeister bis hin zu seinen Teamkollegen von der „Red Blade“-Mission. „Soweit meine Erfahrung haben alle Magier ein Rad ab, aber wenn ich unerwartet doch noch einem halbwegs kompetenten Kollegen begegne werde ich ihn hierher empfehlen. Also, was ist diese Geschichte mit dem Fluch?“
Der Parkinhaber fasste sich wieder. „Die ganze Sache fing vor ein paar Wochen an“, begann er seine Erklärung. „Es war einer der letzten wirklich schönen Herbsttage des Jahres, und der Park quoll vor Besuchern nur so über. Natürlich waren auch viele Magier darunter. So gegen Mittag brach dann plötzlich ein lauter Tumult beim Eingang zur Achterbahn aus: Ein Mann, der behauptete ein mächtiger Magier zu sein, beschwerte sich lauthals über die Fahrt und versuchte andere Gäste davon abzuhalten einzusteigen.“
„Was hatte er denn auszusetzen?“
„Es war furchtbar hanebüchen: Hinter dritten Kurve, kurz vor dem Ende mussten wir vor einigen Jahren nach einem Unfall ein Teilstück austauschen – keine große Sache“, versicherte er Garasu sofort, als hätte er Angst davor jemand könnte denken, die Bahn sei in schlechtem Zustand. „Es gab einen Verletzten, doch die Sache wurde außergerichtlich geregelt und der Schaden konnte fachgerecht behandelt werden. Allerdings macht die Bahn seitdem stets einen leichten Hüpfer an der Stelle. Der Mann hatte nun einen Becher heißen Kaffee dabei, als er die Fahrt antrat – ich weiß nicht, wie er ihn darein geschmuggelt hat. Normalerweise achtet das Personal darauf, das kein Essen und Trinken in die Fahrt mit hineingenommen wird. Jedenfalls kam er rotglühend und mit Kaffee überschüttet aus der Bahn und fing an, die Leute zu belästigen. Er wurde mehrmals aufgefordert aufzuhören, später sogar den park zu verlassen, aber er blieb stur. Irgendwann habe ich das Sicherheitspersonal angewiesen, ihn aus dem Park zu werfen. Als sie ihn vor das Tor setzten, hat er gemeint, er würde den Park verfluchen.“
„Und dann fing es zu regnen an?“
Herr Dorson nickte. „Zuerst hielten wir es für einen ganz normalen Herbstschauer. Doch es regnete Tag für Tag immer weiter, auch wenn im Rest Fiores die Sonne schien. Als dann der Winter kam und es im gesamten Rest des Königreiches anfing zu schneien, während hier immer noch der Regen runterkam, wussten wir endgültig, dass etwas nicht stimmte.“
Garasu schob seinen Glasschirm beiseite, um in den Himmel zu blicken. Die Wolkendecke war schwarz und düster, und es kam ein schier endloser Strom aus Regentropfen aus ihr heraus. „Verstehe. Sie glauben also, dieser Magier war daran schuld?“
Der Parkinhaber schien etwas verblüfft über diese Frage. „Äh, ja natürlich! Es ist doch kein Zufall, wenn ein Magier einen Fluch ausspricht und daraufhin ein magisches Regengebiet über meinem Park liegt!“
Es dauerte ein paar Sekunden, bevor Garasu schließlich nickte. „Ja, vermutlich haben sie recht. Na schön, zunächst möchte ich mich mit den Kerlen unterhalten, die diesen Magier hinausgeschmissen haben.“
Her Dorson strich sich über den Bart. „Es könnte ein bisschen schwierig werden, die Sicherheitsleute von diesem Tag aufzutreiben... Wollt ihr vielleicht solange mit der Achterbahn fahren?“
Garasu schaute in den verregneten Himmel. „...Wenn ich so darüber nachdenke lüfte ich lieber erst einmal das Geheimnis dieses Fluches.“
Nach einiger Zeit hatte Herr Dorson die Sicherheitsleute von diesem Tag aufgetrieben. Garasu wartete an einer geschlossenen Imbissbude, immer noch mit dem Glasschirm in der Hand. Vor ihm standen nun drei recht athletische Männer, einer etwas so alt wie Herr Dorson, die anderen ein paar Jahre älter als Garasu selbst, in für Sicherheitsbeamte üblichen Uniformen. Neben der Kleidung verband die drei noch eine Gemeinsamkeit: Sie hatten alle triefende Nasen.
„Der Regen“, meinte der älteste leicht verschnupft, während sich sein Kollege die Nase putzte. Der dritte musste zumindest leichtes Fieber haben, jedenfalls machte er einen sehr schlaffen und erschöpften Eindruck. „Die Hälfte der Mitarteiter kämpft mit dem Schnupfen, und die andere kann gar nicht erst zur Arbeit kommen - nicht, dass es hier viel zu tun gebe. Es sind keine Gäste da und die Fahrgeschäfte können wir bei dem Wetter auch nicht richtig wa... ha... ha-“
Der Mann zog den Kopf zurück, bevor er laut in Garasus Richtung nieste. Der Glasmagier hielt sich den Schirm vor den Körper, um sich vor dem Schleimsturm zu schützen. „...Gesundheit.“
„Danke“, sagte der Mann, während er seine triefende Rotzfahne wieder in seine Nase saugte. „Okay, der Boss hat gemeint ihr hättet ein paar Fragen?“
Garasu hielt sich den Schirm wieder über den Kopf. „Ihr wart die drei, die vor ein paar Wochen diesen randalierenden Magier rausgeschmissen habt?“ Alle drei nickten, der fieberige ein wenig langsamer als die anderen, der andere während er sich sein Kollege wieder die Nase putzte. „Wie genau ist das an dem Tag abgelaufen?“
Der älteste der drei, der sich die Nase inzwischen mit einem völlig durchweichten Taschentuch abgewischt hatte, fing an zu erklären: „Also es war wirklich keine spektakuläre Aktion: Der Boss rief uns, einen Kerl, der bei der Achterbahn rumblökte, aus dem Park zu schmeißen. Wir sind hingegangen und haben zuerst versucht mit ihm zu reden, aber der Kerl hat uns gar nicht zu gehört. In einem einzigen Wortschwall hat er die ganze Zeit nur gemeckert, die gesamte Belegschaft einen Haufen inkompetenter Jahrmarktkünstler genannt und versucht die Leute von der Achterbahn fernzuhalten. Da haben ich und Bob-“ Er nickte zu dem Mann, der sich die ganze Zeit die Nase putzte „–ihn an den Armen gepackt und ihn zum Parkausgang geschleift.“
„Hat er denn keinen Widerstand geleistet?“
„Nun, er hat ziemlich gezappelt und laut rumgeschrieen, aber wirkliche Probleme hatten wir nicht. War ein recht magerer Kerl, noch mehr als ihr.“
„Danke für das Kompliment. Und als ihr in die vor die Tür gesetzt habt...“
„Hat er erst einmal weiter rumgeschrieen. Er versuchte sich an unseren Kollegen am Eingang vorbeizudrängeln, doch sie hielten ihn zurück. Wir waren auch bereits auf dem Weg zurück zu unsere Posten als er rief: „Das werdet ihr bereuen, ihr elendes Pack! Ich verfluche euch, eure Nachkommen und den gesamten Park!“ Dann machte er sich wütend vom Acker.“
„Und dann fing der Regen an?“
„Etwa eine Stunde später, ja.“
Langsam und bedächtig strich sich Garasus über sein feuchtes Kinn. „Und es regnet durchgehend seit ein paar Wochen?“
Erneut nickten die drei, der zweite wieder beim Naseputzen, der dritte immer noch langsamer als die anderen.
„Alles okay mit dir?“, fragte Garasu den sichtlich erschöpften Mann. Er starrte leicht auf den Boden, doch konnte Garasu sehen, dass seine Lippen leicht zitterten, und seine Augen hatten einen glasigen, silbernen Glanz.
„Geh endlich nach hause, Johnson!“, riet ihm der älteste. Er gab ihm einen leichten Klaps, der ihn jedoch fast aus dem Gleichgewicht brachte. „Du brauchst Bettruhe und ne gute Hühnersuppe von Mama!“
„Es geht mir gut“, murmelte der Mann. „Wirklich!“
Garasu räusperte sich. „Wie auch immer, danke für eure Mitarbeit. Das war’s fürs erste.“
„Jederzeit wieder!“ Der Ältere lächelte ihm freundlich zu. „Können wir sonst noch etwas für euch tun? Jetzt im Winter werden zwar sowieso kaum Besucher mehr kommen, aber ich würde trotzdem gern mal wieder im Trockenen arbeiten!“
Garasu schaute hinauf zur Achterbahn, welche majestätisch über dem Park thronte. „Habt ihr hier irgendwo ein Archiv? Ich muss was nachsehen.“
„Klar, ich bring dich hi-„
„Ich möchte von ihm hingebracht werden“, meinte Garasu, seinen Blick auf den halbtoten Wachmann richtend. Sein Körper war schon die ganze Zeit leichter zittrig gewesen, dennoch schien es Garasu, als würde er nervös werden.
Stumm gingen Garasu und Johnson durch den Park, vorbei an verlassenen Fahrgeschäften und menschenleeren Plätzen. Ein leichtes Schauern durchfuhr den Glasmagier, als er durch den unheimlichen Geisterpark wandelte. „Wenigstens stinken die Imbissbuden ausnahmsweise nicht“, murmelte er zu sich selbst. Er ging hinter dem Wachmann, der sich ebenfalls mit eine, Schirm vor dem Regen schützte. Sein Gang war schwankend als er von Pfütze zu Pfütze stolperte, und er ging nur sehr langsam.
Ein gleißender Blitz zog über das pechschwarze Firmament. „Scheint ein Gewitter zu werden“, bemerkte Garasu.
„Das passiert manchmal.“
Irgendwo hörte Garasu ein Stück Metall quietschen, wahrscheinlich eine rostige Fahnenstange.
„Wie heißt ihr noch mal?“, fragte er Johnson.“
„Jonathan Joan Johnson.“
Als er nach links blickte sah Garasu die Attraktion mit den riesigen, sich drehenden Teetassen. Jede einzelne quoll über vor Regenwasser. „Und wie lange arbeitest du schon hier?“, wollte er nun wissen.
„Etwa zwei bis drei Jahre.“
„Und macht es Spaß in einem Vergnügungspark zu arbeiten?“
Mitten in einer Pfütze blieb Johnson stehen. „Ihr wisst, dass ich den Regen mache, oder?“
Lauter Donner hallte durch den Park. Garasus Miene bewegte sich nicht, als Johnson in der Pfütze auf die Knie fiel, den Regenschirm aus seiner Hand gleiten ließ, und Tränen anfingen seien vom Regen aufgeweichten Wangen hinunterzufließen. „Es tut mir leid!“, schluchzte er. „Vor sechs Jahren, beim Unfall auf der Achterbahn, wurde mein Vater gelähmt. Der Park hat ihm zwar eine hohe Abfindung bezahlt, doch arbeiten konnte er trotzdem nicht mehr. Ich habe den Job angenommen und heimlich Wassermagie erlernt, um mich eines Tages rächen zu können. Und als sie den Magier rausgeschmissen haben sah ich meine Chance gekommen. Es tut mir leid! Es tut mir wirklich leid!“
Ein wenig verdattert stand Garasu im Regen. „Ehrlich gesagt hatte ich den anderen Sicherheitsfutzi im Verdacht.“
Blitzartig fuhr Johnson hoch. „Den Boss?“
„Nein, den anderen.“
„Was? Wieso?!“
„Sein ständiges Naseputzen ging mir auf die Nerven. Jedenfalls wusste ich, dass es nicht dieser Magier sein konnte. Einer der sich von drei Sicherheitsbeamten eines Vergnügungsparks rauswerfen lässt kann nicht genug draufhaben, ein wochenlanges Gewitter zu erzeugen.“
„Also habe ich umsonst gestanden“, flüsterte er. Für einen kurzen Moment war Johnson erstarrt. Plötzlich hielt er sich die Hände vorm Mund als er anfing er wie wild zu husten.
„Ich denke es ist besser so“, meinte Garasu, während er an Johnson herantrat. „Noch ein paar Tage und das ständige Aufrechterhalten des Spruches wird euch.“ Sanft legte er die Hand auf seine Hand auf die Schulter des kauernden Mannes. „Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder ich bringe euch zum Parkvorsteher, der Anzeige gegen euch erstattet und ins Gefängnis werfen lässt, oder ihr beendet den Regen und ich sage, ich hätte irgendein magisches Artefakt oder so zerstört. Was meint ihr?“
Ein kurzes Moment herrschte Stille. Nur das ewige Plätschern des Regens war zu hören. Nach und nach lüftete sich dann der Vorhang aus Wassertropfen. Garasu hielt sich die Hand vor die Augen, als die schwarze Wolkendecke aufbrach und die Strahlen der Sonne auf den überfluteten Park trafen.
[Quest beendet. Auf eine selten dämlicher Weise, aber beendet!!]